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Stabilität stärken: Weiterentwicklung des ESM in einer vertieften Währungsunion

ESM
Klaus Regling, Geschäftsführender Direktor des ESM
„Stabilität stärken: Weiterentwicklung des ESM in einer vertieften Währungsunion“
Parlamentarischer Abend des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV)
Brüssel, 17. Oktober 2018

(Es gilt das gesprochene Wort)
 
Sehr geehrter Herr Schleweis,         
meine Damen und Herren,
ich freue mich, heute Abend über die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) zu sprechen.

Ich möchte Ihnen insbesondere meine Perspektive der möglichen neuen Aufgaben des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) geben und wie – insgesamt – die Währungsunion noch robuster gemacht werden kann.
 
Den Blick auf das Erreichte richten

Der zehnte Jahrestag der Lehman-Pleite liefert eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen: Zusätzliche Schritte zur Vertiefung der WWU müssen natürlich vor dem Hintergrund des bisher Erreichten diskutiert werden.

In den vergangenen Jahren hat der Euroraum die schwerste Rezession seit seiner Entstehung überstanden. Heute kann man feststellen, dass diese Krise überstanden ist. Das bedeutet natürlich nicht, dass es im Euroraum nie wieder Probleme und Krisen geben wird. Aber die Eurokrise der Jahre 2010-2012 ist überstanden.

Das Wachstum des Euroraums liegt weiterhin deutlich über dem langfristigen Potential. Eine Verlangsamung des Wachstums ist unvermeidlich und ein normales zyklisches Phänomen.

Makroökonomische Ungleichgewichte, die in den Jahren vor der Krise entstanden sind, wurden beseitigt. Haushaltsdefizite haben sich verringert, öffentliche und private Schulden sinken, Leistungsbilanzdefizite sind verschwunden. Die Arbeitslosenrate ist auf dem niedrigsten Stand seit Ende 2008.

Die Überwindung der Krise ist das Ergebnis eines breiten Maßnahmenpakets, das in seinem Zusammenspiel erfolgreich war. Tiefgreifende Reformen in den Mitgliedstaaten, die EFSF und ESM Kredite erhielten, sowie die unkonventionelle Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) waren essentielle Krisenreaktionen. Gleichzeitig wurde die Koordinierung der Wirtschaftspolitik auf EU Ebene gestärkt und breiter angelegt. Und Defizite in der institutionellen Architektur der WWU wurden in wichtigen Bereichen behoben.

Zwei institutionelle Änderungen haben die Struktur der Währungsunion gestärkt: die Bankenunion mit der Schaffung des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus und des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus, und die Gründung der Rettungsschirme.
 
Die Rettungsschirme

2010 wurde die temporäre Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) gegründet. Zwei Jahre später der permanente ESM.

Die Krise hat verdeutlicht, dass nationale Probleme in einer Währungsunion schnell zu europäischen Problemen werden können. Der ESM gewährleistet die Stabilität des Eurosystems. Die Funktion des „Kreditgebers letzter Instanz für Länder“ gab es vor der Krise nicht.

Durch Finanzhilfen an schwache Mitgliedsländer wird verhindert, dass sich nationale Krisen auf den gesamten Währungsraum übertragen. Ohne die Schaffung von EFSF und ESM hätten Länder wie Griechenland, Irland und Portugal vermutlich die Währungsunion verlassen müssen. Europa würde heute anders aussehen!

Darlehen werden vom ESM nur ausgezahlt, wenn das Empfängerland umfangreiche Reformauflagen umsetzt. Dieses Prinzip der Kreditvergabe hat sich schon beim Internationalen Währungsfonds (IWF) seit Jahrzehnten bewährt.
Anders als manchmal immer noch behauptet wird, werden die ESM-Programme nicht mit Steuergeldern finanziert. Das Geld für die Darlehen wird von den beiden Rettungsfonds am Markt aufgenommen. Die Programmländer müssen ihre Darlehen in vollem Umfang zurückzahlen, einschließlich der Zinsen.

Der ESM hat mit gut 80 Milliarden Euro das höchste eingezahlte Kapital aller internationaler Finanzinstitutionen. Das Kapital dient als Sicherheit für Investoren. Diese Sicherheit ist der Grund, weshalb der ESM ein ausgezeichnetes Rating hat und daher am Markt nur niedrige Zinsen zahlen muss.

Die günstigen Finanzierungsbedingungen gibt der ESM an seine Kreditnehmer weiter. Wir haben die Möglichkeit, langfristige Kredite mit rund 1% Zinsen zu vergeben – aber natürlich nur gegen strikte Konditionen. Diese niedrigen Zinsen verschaffen den jeweiligen Ländern Fiskalspielräume. Im Fall Griechenlands schätzen wir, dass die ESM-Kredite zu jährlichen Haushaltseinsparungen von fast €12 Milliarden führen. Dies entspricht 6.7% der griechischen Wirtschafsleistung. Dies ist entscheidend für die Wiedererlangung der griechischen Schuldentragfähigkeit.

Seit 2011 haben die Rettungsschirme insgesamt Darlehen von rund €295 Milliarden an fünf Länder vergeben. Die Reformen zahlen sich aus: Irland, Portugal, Spanien und Zypern verzeichnen hohes Wachstum, und rasch sinkende Arbeitslosigkeit. Und sie können sich wieder problemlos am Markt refinanzieren. Auch Griechenland ist auf einem guten Weg. Es ist aber wichtig, den Reformkurs beizubehalten, um das Wachstumspotential zu stärken und das Vertrauen der Investoren auch langfristig zu sichern.
 
Italien

Haben wir im Euroraum, nachdem alle ESM-Programme abgeschlossen sind, ein neues Problem mit Italien? Die Budgetplanung, die Italien am Montag an die Europäische Kommission geschickt hat, steht sicher nicht im Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt. Dieser wurde damals von allen Mitgliedsländern – auch Italien – beschlossen. Die Märkte haben entsprechend reagiert. Ich gehe davon, dass die Kommission, der Ecofin Rat und die Eurogruppe versuchen werden, die italienische Regierung zu überzeugen, Anpassungen bei der Haushaltsplanung vorzunehmen. Falls erforderlich, sieht der der Stabilitätspakt weitere Schritte vor.

Andererseits sollte man aber auch nicht überreagieren. So wie das letzte Woche bei der IWF-Jahresversammlung auf Bali zu beobachten war. Dort meinten einige, Italien würde demnächst den Marktzugang verlieren. Italien hat durchaus seine Stärken: Leistungsbilanzüberschuss, relativ hoher Primärüberschuss, lange Laufzeiten bei der Haushaltsfinanzierung und hohe inländische Ersparnis. Deshalb halte ich es für richtig, Italien an die Verpflichtungen zu erinnern, die sich für alle Länder ergeben, die zum Euroraum gehören. Es besteht aber kein Anlass zur Panik. Letztlich ist es entscheidend, dass mehr als 60% der Italiener den Euro befürworten. Lediglich ein Viertel möchte die Lira wiederhaben.
 
Vervollständigung der Währungsunion

Lassen Sie mich zum Thema Vertiefung der Währungsunion kommen. Bis zum nächsten Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Dezember arbeiten wir insbesondere an zwei Themen: der Vollendung der Bankenunion und der Weiterentwicklung des ESM.
 
Vollendung der Bankenunion

Zwei Dinge fehlen, um die Bankenunion zu komplementieren: Die Letztabsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfond (SRF) und eine europäische Einlagensicherung.

Zum ersten Punkt: Der ESM soll den backstop für den SRF bereitstellen. Das wurde auf dem Gipfel im Juni beschlossen und wir bereiten uns intern darauf vor. In einer Finanzkrise könnte sonst der europäische Bankenrettungstopf nicht ausreichen. Die FDIC – der Einlagensicherungsfonds der Vereinigten Staaten – hat auch so einen backstop!

Der ESM könnte dem europäischen Abwicklungsmechanismus SRF eine Kreditlinie in derselben Größenordnung wie die Eigenmittel des SRF zur Verfügung stellen, also rund 55-60 Milliarden Euro. Sollte diese Kreditlinie jemals genutzt werden, würde der SRF dieses Geld über Beiträge von europäischen Banken zurückzahlen. Belastungen für die Steuerzahler wird es nicht geben. Der Zeitpunkt für die Einführung des backstop ist noch offen und hängt davon ab, wie rasch Risiken bei den Banken abgebaut werden können.

Zum zweiten Element: Ich weiß, dass der DSGV eine europäische Einlagensicherung äußerst skeptisch sieht. Lassen Sie mich daher erklären, warum ich eine solche Einlagensicherung für sinnvoll halte.

Ich höre manchmal, mit einer europäischen Einlagensicherung würden die deutschen Sparer mit ihren Sparguthaben für Sparer anderer Länder haften. Das ist natürlich nicht korrekt. Die Banken zahlen für diese Einlagensicherung eine „Versicherungsprämie“ aus ihren Erträgen. Dies betrifft den Sparer indirekt, sollten Banken diese Kosten an ihre Kunden weiterleiten. Aber es ist nicht der Fall, dass Sparguthaben direkt eingesetzt werden. Weiterhin gilt, dass alle Bürger – und auch Banken – im Euroraum von einer gemeinsamen Einlagensicherung profitieren, da die Gefahr einer Finanz- und Schuldenkrise sinkt.

Hätte es vor einigen Jahren eine europäische Einlagensicherung gegeben, wären die Darlehensvolumen aller ESM-Programme deutlich niedriger ausgefallen. Ein beträchtlicher Teil der Kredite wurde zur Rekapitalisierung von Banken in den jeweiligen Programmländern gebraucht. Denn verunsicherte Sparer hoben in der Krise ihre Ersparnisse ab.

Mit einer glaubwürdigen europäischen Einlagensicherung wären die Ängste der Sparer hinfällig, der Grund für nationale bank runs würde entfallen. Eine gemeinsame Einlagensicherung würde dazu beitragen, den Einlagenschutz unabhängig vom Standort einer Bank zu gewährleisten. Eine glaubwürdige Einlagensicherung ist auch die beste Garantie dafür, dass sie praktisch nie genutzt wird. Kurz gesagt: Risikoteilung reduziert in diesem Fall Risiken.

Aber ich stimme dem DSGV zu, dass die Voraussetzung für die Einführung einer europäischen Einlagensicherung eine erhebliche Risikoreduzierung bei den Banken sein muss. Es wurden bereits Fortschritte erzielt: die Kernkapitalquote der Banken im Euroraum lag im Juni 2018 bei rund 16%. Und der Anteil notleidender Kredite sank im vergangenen Jahr im Euroraum insgesamt um rund 18%, in den Problemländern noch mehr. Dieser Trend muss weitergeführt werden. Ebenso sollte der hohe Anteil heimischer Staatsanleihen in den Bankenbilanzen verringert werden.

Zusammen mit einer Kapitalmarktunion würde eine europäische Einlagensicherung es erleichtern, die Fragmentierung der Finanzmärkte in Europa zu überwinden und einen einheitlichen europäischen Finanzmarkt zu schaffen. Damit könnten auch die TARGET-Salden wieder sinken. Außerdem würde ein besser integrierter Finanzmarkt zu einer effektiveren Geldpolitik im Euroraum führen. Das würde eventuell auch höhere EZB-Zinsen ermöglichen.
 
Stabilität stärken: Vertiefung des ESM

Lassen Sie mich nun zum zweiten Teil der Stärkung der WWU kommen: die Weiterentwicklung des ESM. Vielleicht fragen Sie sich: was macht ein Rettungsschirm, wenn es nichts zu retten gibt? Wir haben zum ersten Mal seit der Gründung der Rettungsschirme kein laufendes Hilfsprogramm. Ich versichere Ihnen, wir sind dennoch gut beschäftigt.

Die Euro-Länder wollen das Mandat des ESM vertiefen und ausweiten. Folgende neue Aufgaben werden diskutiert:

Erstens, wie bereits erwähnt, soll der ESM spätestens ab 2024 den backstop für Bankenabwicklungen zur Verfügung stellen.

Zweitens soll der ESM eine stärkere Rolle bei künftigen Krisenprogrammen spielen. Natürlich gemeinsam mit der Europäischen Kommission. Die jetzige Gläubiger-Quadriga wird dann zum Tandem. Dabei werden natürlich die Zuständigkeiten der Kommission, die sich auf dem EU-Vertrag ergeben, voll respektiert.

Drittens wird der Instrumentenkasten des ESM überprüft, vor allem die vorsorglichen Instrumente.

Es gibt außerdem Vorschläge, wie man bei Umschuldungen eine Beteiligung der privaten Gläubiger verbessern kann. Der ESM darf nur Kredite an Mitgliedstaaten vergeben, deren Schulden tragfähig sind. Das System hat sich in den letzten Jahren sehr „ad hoc“ entwickelt und sollte transparenter werden.

Dem ESM könnte hier eine wichtige Rolle zukommen: wir würden eine Schuldentragfähigkeitsanalyse vorlegen und den Dialog zwischen dem Hilfe beantragenden Land und den Gläubigern moderieren.
 
Zusätzliche Stabilisierung

Es gibt außerdem zahlreiche Vorschläge, fiskalische Instrumente zur makroökonomischen Stabilisierung und zur Konvergenz der Lebensstandards einzuführen. Bei den Euro-Mitgliedsstaaten gibt es in dieser Frage heute noch keinen Konsens. Also verläuft die Diskussion kontrovers.

Zur Förderung der Konvergenz gibt es ja den EU-Haushalt seit vielen Jahrzehnten. Die Transfers über den EU-Haushalt zur Förderung der Konvergenz wurden nicht wegen des Euro geschaffen. Aber sie dienen auch der Konvergenz im Euroraum. Stabilisierung ist sinnvoll, wenn sich ein Teil der Währungsunion wirtschaftlich asymmetrisch zum Rest der Währungsunion entwickelt.

Ich gebe zu bedenken:

Erstens, in einer Währungsunion fallen zwei makroökonomische Steuerungsinstrumente weg: die Geldpolitik und die Wechselkurspolitik. Als makroökonomisches Instrument um gegenzusteuern bleibt also nur die Fiskalpolitik.

Zweitens wirkt die Geldpolitik in einem großen Wirtschaftsraum tendenziell immer pro-zyklisch. Regionen oder Länder mit hohem Wirtschaftswachstum und somit höherer Inflationsrate, haben tendenziell zu niedrige Realzinsen. Regionen und Länder mit niedrigem Wachstum haben tendenziell zu hohe Realzinsen. Wir sehen das in Europa genauso wie in den USA oder China.

Drittens ist die wirtschaftliche Risikoteilung ist im Euroraum weniger ausgeprägt als in den USA. Die Finanzmarktintegration ist nach wie vor gering. Und im Euroraum gibt es keine gemeinsamen Steuer- und Sozialversicherungssysteme, die permanent die Konjunkturzyklen wie in den US-Bundesstaaten stabilisieren.

Bevor ein fiskalisches Instrument zur makroökonomischen Stabilisierung im Euroraum benutzt wird, sollten alle Euro-Länder natürlich zuerst ihre nationalen fiskalischen Puffer nutzen. So sieht es der Stabilitäts- und Wachstumspakt vor. Die müssen also als erstes aufgebaut werden. Aber diese nationalen Puffer könnten durch europäische Instrumente erweitert werden.

Es gibt dafür mehrere Vorschläge: Investitionsstabilisierung, Rückversicherung nationaler Arbeitslosensysteme, rainy day funds, kurzfristige ESM-Kredite. Alle diese Vorschläge könnten so konzipiert werden, dass sie nicht zu permanenten Transfers führen.

Aus ökonomischer Sicht ist mehr Risikoteilung in der Währungsunion über die Märkte und durch fiskalische Instrument sinnvoll. Kleinere Krisen würden sich daraus nicht so leicht zu großen Krisen entwickeln. Der Einsatz umfassender ESM-Programme würde weniger häufig notwendig.

Wie gesagt, die Diskussion hierzu ist kontrovers. Bestimmt auch hier im Saal. Aber ich bin sicher auch eingeladen worden, um einige Denkanstöße zu geben.
 
Ausklang

Wir sollten uns jetzt auf das Konzert freuen. Danach gibt es vielleicht noch die Gelegenheit über „meine“ Themen zu diskutieren.

Herzlichen Dank.
 
 

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