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Rolf Strauch im Tiroler Tageszeitung interview (Deutsch)

ESM
Interview mit Rolf Strauch, Chefökonom, ESM
Veröffentlicht im Tiroler Tageszeitung (Österreich ) 6. Oktober 2018
Interviewer: Alois Vahrner
Originalsprache: Deutsch
 
 
 
Tiroler Tageszeitung: Herr Strauch, vor zehn Jahren ist mit der Lehman-Pleite die globale Finanzkrise ausgebrochen und hat in der Folge auch den Euroraum in eine schwere Krise gestürzt. War man für so ein Ereignis zu wenig vorbereitet?
 
Rolf Strauch: Die Krise hat deutliche strukturelle Schwächen und Defizite in der Architektur der Währungsunion aufgezeigt und uns gezwungen, sie zu beheben. Jetzt können wir guten Gewissens behaupten, dass wir die Krise hinter uns gelassen haben. Das Wachstum des Euroraums liegt klar über seinem langfristigen Potential, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone haben sich verringert und wir haben die niedrigste Arbeitslosenrate seit Ausbruch der Krise Ende 2008. Die Haushaltsdefizite der Euroländer haben sich verringert, die Schulden sinken. Laut Eurobarometer sehen 50 Prozent der befragten Bürger die wirtschaftliche Lage in der EU als gut, die Zustimmung zum Euro ist so hoch wie noch nie: Mit 74 Prozent sehen drei Viertel der Bürger den Euro positiv, vor einiger Zeit waren es nur 62 Prozent.
 
Experten rätseln bereits, ob wieder so eine verheerende Krise ausbrechen kann und was der Auslöser sein könnte, etwa neue Blasen im Finanzsektor oder bei Immobilien.
 
Die Krise ist überwunden, wir haben ein deutlich besseres Umfeld als 2008. Daher sehe ich keine unmittelbare Krisengefahr. Das bedeutet aber nicht, dass es keine weiteren Risiken mehr gibt. Die Euro-Mitgliedsländer haben den Aufschwung in unterschiedlichem Maße genutzt, um fiskalische Freiräume zu schaffen. Es gibt teilweise noch immer hohe Schulden bei privaten Haushalten und der öffentlichen Hand. Zudem ist die Arbeitslosigkeit, vor allem bei den Jugendlichen, in einigen Ländern noch hoch. Banken haben weiter notleidende Kredite in ihren Büchern, auch wenn hier bereits wesentliche Verbesserungen erzielt wurden. Die Konjunktur wird sich wie in jedem Zyklus abschwächen, dazu kommen Gefahren wie Protektionismus im Welthandel, der Brexit und Krisen in den Schwellenländern. Daher gibt es guten Grund, den Euroraum gerade jetzt für die Zukunft noch besser zu wappnen.
 
Welche Rolle bei der Bekämpfung der Krise spielte der ESM, der Europäische Stabilitätsmechanismus?
 
Die Gründung der EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) in 2010 und des ESM in 2012 war neben den Reformen in den Euro-Mitgliedsstaaten und den geldpolitischen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) entscheidend dafür, dass wir die Krise überwunden haben. EFSF und ESM haben zusammen eine Ausleihekapazität von 700 Milliarden Euro. Und auch das eingezahlte Kapital von rund 81 Mrd. Euro der 19 Euro-Länder ist das höchste aller internationaler Finanzinstitutionen. Wir sind der Rettungsfonds für Länder, die den Marktzugang verlieren. Seit 2011 wurden 295 Milliarden Euro an Rettungsdarlehen an Spanien, Portugal, Irland, Zypern und Griechenland ausgezahlt, wohlgemerkt ohne Kosten für die Steuerzahler. Und ausgezahlt wird nur, wenn das Land harte Reformvorgaben erfüllt. Wir haben ein ausgezeichnetes Rating, was uns die Vergabe von langfristigen Krediten mit sehr geringen Zinsen ermöglicht. Für Griechenland führt das etwa zu einer jährlichen Zinsersparnis von fast 12 Milliarden Euro, das sind 6,7 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr.
 
Im Falle Griechenlands zweifeln viele an, dass der gewaltige Schuldenberg jemals abgetragen werden kann. Wäre da nicht ein Schuldenschnitt die weit ehrlichere Variante?
 
Nein, einen Schuldenschnitt bei ESM-Krediten gab es nie und wird es nicht geben. Wir gehen davon aus, dass Griechenland seine Darlehen am Ende vollständig an uns zurückzahlen wird, einschließlich der geringen Zinsen. Wir finanzieren nicht Unmögliches, sondern Machbares. Griechenland profitiert von sehr langen Laufzeiten und einer Stundung von Zinsen und Krediten für die kommenden Jahre. Dank der Reformen hat es Griechenland mittlerweile geschafft, auch die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Der Erfolg unseres Ansatzes zeigt sich auch in unseren anderen ehemaligen Programmländern Irland, Portugal, Spanien und Zypern. Sie haben mittlerweile höhere Wachstumsraten als der EU-Durchschnitt und zahlen sowohl an den Internationalen Währungsfonds als im Fall von Spanien auch an uns vorzeitig zurück.
 
Es gibt nach dem Regierungswechsel und der Ankündigung, die Schulden zu erhöhen, vielfach Befürchtungen, dass Italien zum nächsten Euro-Krisenland werden könnte.
 
Generell ist zu sagen, dass Italien auch in den tiefsten Zeiten der Krise im Gegensatz zu anderen Ländern immer Marktzugang hatte. Die EU-Kommission wird sich die italienische Haushaltspolitik Mitte Oktober genau anschauen und Gespräche mit der italienischen Regierung führen. Die Märkte haben in den letzten Tagen auf die ersten Ankündigungen Italiens zu den Haushaltsplänen negativ reagiert. Die italienische Regierung hat auf diese Situation reagiert und die Defizitziele für 2020 und 2021 reduziert.
 
Der ESM, der Euro-Rettungsschirm, hat seine Schuldigkeit getan, könnte man sagen. Wie sehen Sie die Zukunft des Rettungsschirms?
 
Der ESM hat sich ganz sicher bewährt und das Vertrauen seiner Anteilseigner, den 19 Euro-Ländern, erworben. Wir haben ein Fachwissen aufgebaut, das weit über die Finanzierung von Krediten hinausgeht. Wir sind eine effiziente Feuerwehr für mögliche Krisen, die die Stabilität des Euroraumes gefährden. Und niemand käme auf die Idee, eine Feuerwehr aufzulösen, nur weil es gerade einmal nicht brennt. Die Eurogruppe diskutiert, welche neuen Aufgaben der ESM bekommen soll. Wir sollen etwa spätestens ab 2024 die Letztabsicherung bei Bankenabwicklungen übernehmen. Belastungen für die Steuerzahler sind dabei nicht vorgesehen. Der ESM soll auch eine stärkere Rolle bei künftigen Krisenprogrammen spielen, etwa bei der Konzeption, den Verhandlungen und der Überwachung. Dabei werden natürlich die Zuständigkeiten der EU-Kommission voll respektiert. Auch unser Instrumentenkasten wird derzeit überprüft. Von den sechs Instrumenten, die wir haben, haben wir bisher nur zwei genutzt. Da könnten vielleicht alte gestrichen werden und möglicherweise neue dazukommen.
 
Wird es neue Möglichkeiten für den ESM geben?
 
Das Ziel der ESM-Reform ist es, den Euroraum und unsere gemeinsame Währung noch krisenfester zumachen. Allein darum geht es.
 

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